Freitag 11.06.2010 - Rubrik: Allgemeines
Der erste Privatanleger will gegen amerikanische Ratingagentur vor Gericht
Nicht nur aufgrund der Bewertung der instabilen EU-Länder oder gar wegen der aktuellen
Bonitätsabstufung des Unternehmens BP, das für die Ölkrise an der amerikanischen Küste
verantwortlich ist, sind Ratingagenturen im Gespräch - nein, viel mehr Aufsehen erregt
derzeit ein Privatanleger, der gegen die amerikanische Investmentbank S&P vor Gericht zieht.
Die Klage - ein weitläufiger Prozess
Hierbei handelt es sich möglicherweise um einen Musterprozess, der bei Erfolg, laut
Angaben des Privatanlegers, für rund 400 weitere Geschädigte Anspruch auf Schadensersatz
bedeuten könnte. Die Vorbereitungen werden von der Hamburger Kanzlei KWAG getroffen, die
auf das Kerngeschäft der Kapitalanlage fokussiert ist. Die Klage wird beim Landgericht
Frankfurt eingereicht, da hier die Tochtergesellschaft von Lehman Brothers, Standard &
Poor, einen Filialsitz betreibt.
Der Ärger des Anlegers
Grundlegend für die Klage ist, dass der private Anleger im August 2008 Lehman Zertifikate
im Wert von 30.000 Euro
gekauft hat. Dass die Lehman Brothers mit einer Bonität von
A+ bewertet wurden, zeichnete sich auch direkt in der öffentliche Werbung ab.
Entsprechend sicher fühlte sich der Anleger beim Kauf der Zertifikate. Dass nur
drei Tage vor der Lehman Pleite im September eine Abstufung von A+ auf A
stattgefunden hat, ließ ebenfalls nicht vermuten, dass die gekauften Zertifikate
kurze Zeit später gänzlich an Wert verlieren würden. Wenn die Angaben stimmen, und
tatsächlich gut 400 Anleger davon betroffen sind, handelt es sich um einen Verlust
von 8 Millionen Euro.
Auch andere Investmentbanken müssen zittern...
Da sich der Anleger an den beworbenen Sicherheiten orientiert, wird die Tatsache, dass
zwischen Anleger und Ratingagentur kein unmittelbares, geschäftliches Abkommen
besteht, zur Nebensache. Selbst die Rechtsschutzversicherung des Mandanten erkennt
die Chance dieser Klage, da die Kosten für diesen Fall gänzlich übernommen werden.
Sollte die Klage gegen Standard & Poor, kurz S&P, erfolgreich werden, müssen auch
andere Investmentbanken wie Moody’s und Fitch ebenfalls mit Schadensansprüche von
Betroffenen kalkulieren. Wie wahrscheinlich ein Gewinn dieses Prozesses ist, können
selbst Finanzexperten bislang noch nicht abschätzen - dass die Klage jedoch mit
schlagkräftigen Argumenten eingereicht wird, daran zweifelt niemand.
Eine erneute Polarisierung - Kritiker vs. Fürsprecher
Und erneut wird die Frage aufgegriffen, wer Schuld an der Immobilienblase hat. Dass
Wertpapiere und Immobilien lukrative Investitionsformen sind, daran hat auch die Krise
im vergangen Jahr nichts geändert. Jedoch brauchen Verbraucher und insbesondere
Investmentberater neue Sicherheiten um entscheiden zu können, wie sicher die geplanten
Investitionen im Detail sind. Genau hier setzen die Kritiken an, dass das Konzept der
Ratingagenturen nicht stimmig ist. Diese Frage polarisiert und trennt die Finanzwelt
in zwei Richtungen. Selbst bekannte Persönlichkeiten der Finanzbranche nehmen
Investmentbanken und Ratingagenturen in Schutz und geben zu Bedenken, dass es sich
hierbei um objektive Eindrücke von Personen und Instanzen handelt. Dass die Immobilienpreise
dermaßen in den Keller stürzen, hätte vorhergesehen werden können, ist jedoch offensichtlich
für relativ unwahrscheinlich gehalten worden. Dass Vorhersehbarkeiten möglich sind, erklärte
vor kurzem eine deutsche Ratingagentur, die beispielsweise schon 2007 die Bonität der
heutigen EU-Problemfälle Spanien und Griechenland in Anbetracht der Immobilienkrise
schlechter bewertete. Das bestätigt selbstverständlich diejenigen, die Ratingagenturen
in Schutz nehmen und der Meinung sind, dass nicht das Konzept der Ratingagenturen unstimmig
ist, sondern viel eher die potentielle Risikoerkennung deutlich verbessert werden muss.
Verzicht mit Risiko
Auf eine Instanz zu verzichten, welche die Bonität eines Landes oder Unternehmens definiert,
minimiert nicht das Risiko, dass so etwas nicht noch einmal geschehen wird. Im Gegenteil: Denkt
man über eine Neustrukturierung des Systems nach, müssen sogar zunächst Fehler kalkuliert
werden, da fast bei jedem neuen Konzept im Laufe der Zeit Umarbeitung aufgrund von Unstimmigkeiten
vorgenommen werden müssen. Ein solches Risiko einzugehen, während sich Länder und Unternehmen
noch von den Auswirkungen der vergangenen Jahre versuchen zu erholen, grenzt schon fast an
mutwilliger Zerstörung.
Folglich sollte eine Stabilisierung des Ratingsystems stattfinden statt einer kompletten
Auflösung. Dies wird vermutlich jedoch erst wieder öffentlich thematisiert, sobald feststeht, in
wie weit die Klage Erfolg haben wird. Der private Kapitalanleger hat schon jetzt bekannt gegeben,
dass er sämtliche Instanzen in Anspruch nehmen wird, und auch nicht davor zurückschreckt den
Europäischen Gerichtshof mit einzubeziehen - es bleibt also international spannend.
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